Die Russische Eisenbahn – von der 3. bis zur 1. Klasse

Nach über zwei Tagen im Zug ist für mich das eindrücklichste, dass die Zeit aufhört zu existieren. Die Zeit ist unwichtig geworden. Das gibt es in unserer heutigen Zeit eigentlich kaum noch, deshalb fasziniert mich das auch sehr. Wenn stundenlang verschneite Birkenwälder vorbeiziehen, der blaue Himmel mit der Sonne um die Wette strahlt, und dann die Sonnenuntergänge jeden Tag schöner werden, dann kann man stundenlang aus dem Fenster schauen ohne ein Zeitgefühl zu entwickeln, ohne das Gefühl zu haben, man verpasse etwas, wenn man jetzt nicht etwas Produktives tut. Einfach die Gedanken schweifen und die Seele baumeln lassen und das den ganzen Tag. Für mich hat es fast ein bisschen etwas von Meditation und beruhigt extrem. Eigentlich der beste Start für eine lange Reise, wie diese.

Seit ich in Winterthur eingestiegen bin, sind wir nun schon 111h Stunden (also natürlich nicht am Stück) Zug gefahren. Hier mal eine Zwischenbilanz.

Winti – Zürich: 20min
Zürich – Innsbruck: 3h 30min
Innsbruck – Moskau: 34h
Moskau – Kazan: 12h 29min
Kazan – Ekaterinburg:  13h 30min
Ekaterinburg – Irkutsk: 48h 30 min

Total bis Irkutsk (falls ich richtig gerechnet habe): 111h 19min

Zuerst im luxuriösesten Zug von allen von Innsbruck nach Moskau mit 36 Stunden teilten wir das Abteil mit Svetlana einer Russin, die von Nizza nach Hause ging. Schon da fiel mir die Abwesenheit der Zeit auf, aber Svetlana war eine Plaudertante und so war die Entspannung nicht so gross wie auf den nächsten Fahrten. Auf der ersten Strecke in Russland, von Moskau nach Kazan fuhren wir über Nacht in der 2. Klasse. Die zwei Damen im Abteil waren wirklich super, sonst könnte die zweite Klasse allenfalls auch ein bisschen anstrengend werden. Zum Glück hatten die beiden fast kein Gepäck und so waren die Gepäckfächer unter den Bänken voll mit unseren Rucksäcken.

Die zweite Etappe Kazan – Ekaterinburg fuhren wir in der 3, Klasse. Ein bisschen hatte ich Angst, dass wir zu wenig Platz für unser Gepäck haben werden. Aber die 3. Klasse war so ziemlich leer. Wir hatten unser Abteil für uns alleine und es war eine extrem bequeme Fahrt. Der Zugbegleiter sorgte für uns, brachte uns Tee, sagte uns wann wir aussteigen konnten und fragte immer wieder ob alles ok sei. Ja die 3. Klasse war wirklich gut, vor allem da sie leer war. Gut das sähe wahrscheinlich an einem Samstag oder Sonntag anders aus. Wer reist schon am Montag morgen?

Für die längste Fahrt von Ekaterinburg nach Irkutsk, die zwei Tage geht, haben wir dann 1. Klasse gebucht. Erstens hatte es nur noch Upper Beds in der zweiten und zweitens gibt es dort einen Stromanschluss. Für zwei Tage noch bequem, so kann man mal ein paar Reiseberichte verfassen oder aber Fotos sortieren und bearbeiten. Auf dieser Fahrt fuhren wir endlich mit dem “richtigen” Transsib-Zug. Dieser fährt von Moskau, durch ganz Russland bis nach Vladiwostok. In der Nacht stoppten wir in Novosibirsk der grössten Stadt Sibiriens. Da musste ich natürlich kurz aussteigen und ein Foto machen. Unsere Provodnitsa war auch mega nett und schaute auch immer, dass wir wieder ein stiegen wenn der Zug wieder los fuhr. Am nächsten Morgen hielten wir dann für 20min in Krasnojarsk, auch eine riesen Stadt, wo wir bei der Abfahrt über eine hohe Brücke fuhren, die über den Jenissei führte. Wir wurden extrem verwöhnt in der 1. Klasse wir bekamen ein Nachtessen, sogar ein vegetarisches, wir bekamen ein Set mit Schlarpen, Zahnbürste etc. und zum Morgenessen konnten wir dann warme Kartoffeltaschen kaufen bei der netten Olga. Mit uns war noch ein brasilianischer Amerikaner der in Deutschland wohnt im Zug. Er fuhr von Moskau nach Vladiwostok und konnte schon länger nicht mehr mit jemandem reden. Somit textete er uns auf deutsch zu. So schlimm wars dann natürlich nicht. Es war ja auch interessant was er zu erzählen hatte. Unterwegs hielten wir immer wieder und da ich immer ausstieg kannten mich schon bald alle anderen, die auch immer ausstiegen. Marina eine blonde Russin, kam auf einmal auf mich zu mit einem Tannenzapfen und zeigte mir, dass ich da Zedernkerne rausbekommen kann. Sie zeigte mir dann auch der Stand wo ich die Zedernkerne kaufen kann. Ich kaufte dann auch gerade ein paar. Alle Stadien. 1 Tannenzapfen, 1x ungeschälte und einmal geschälte Kerne. Die Zedernkernen sind echt super und die geschälten waren dann auch ziemlich schnell weg. Je näher wir Irkutsk kamen desto mehr Zivilisation hatte es wieder. Zwischen Omsk und Novosibirsk fuhren wir stundenlang nur an Wäldern vorbei, dann nahmen die Dörfer und die Häuser wieder zu. Als wir schlussendlich morgens um 8 Uhr in Irkutsk einrollten, waren wir fast ein bisschen wehmütig, dass diese schöne Zugfahrt schon vorbei war. Ich glaube wir hätten ohne Probleme noch einen Tag im Zug ausgehalten so gemütlich wie es war.